#MeDisabled – Meine persönliche Geschichte

#Metoo, #MeTwo und MeQueer zeigen mal wieder wie weit Diskriminierung in unserer Gesellschaft verankert ist. Ich möchte mal hier kurz auf meine Erfahrungen mit #MeDisabled eingehen.

#MeDisabled – Toleranz ja, aber bitte nicht im Alltag

Wie ihr hier unter anderem nachlesen könnt bin ich schwerbehindert. Konkret gesagt bin ich sehbehindert. Ich kann noch ca. 8% meiner Umwelt wahrnehmen. Das war fast immer schon so bzw. hat sich in den letzten Jahren auf diesen Stand herabgesenkt.

Unsere Gesellschaft ist sehr tolerant…….sagt man! Im ECHTEN Leben sieht es leider anders aus. Ich habe hier mal die „besten Leistungen“ meiner Mitmenschen aus den letzten Jahren aufgeführt.

Bewerbungen

Nachdem ich meine Ausbildung zum IT-Kaufmann im BFW Würzburg erfolgreich beendet habe ging es in die Bewerbungsphase. Ich war jung, nicht regional gebunden, also habe ich mich bundesweit beworben. Ganze 300 Mal. Nein, die Zahl ist nicht ausgedacht oder übertrieben. Daraus resultierten 297 Absagen, 3 Vorstellungsgespräche und 2 Jobzusagen. Aber ein Telefonat mit einem Personaler ist mir besonders im Gedächtnis geblieben „Nehmen Sie es mir nicht übel. Aber wären Sie nicht behindert würde ich Ihnen die Stelle geben. So denken leider die meisten Unternehmen“. Danke für die Ehrlichkeit!

Integrationsfachdienst

Während der oben angesprochenen Bewerbungsphase war ich vier Monate arbeitslos. Ich fand das einfach so furchtbar und habe nach jedem Strohhalm gegriffen den ich kriegen konnte. Unter anderem war ich beim Integrationsfachdienst und wollte Hilfe. Man bot mir eine Maßnahme an und drückte mir wortlos einen Flyer von eben jener in die Hand. Ich verließ das Gebäude, las mir die Broschüre durch und staunte nicht schlecht. Mir wurde gerade ein Programm für Schulabbrecher aufgezwungen. Ich stürmte zurück und konfrontierte den Sachbearbeiter sachlich freundlich mit einem evtl. leicht irren Blick:

Kellnern? Wem darf ich denn die Suppe in den Schoss gießen?

Kassieren? Wie tolerant ist man denn mit Wartezeiten an der Kasse bzw. Differenzen?

Staplerschein? Ich darf nicht mal Auto fahren. Hell yeah, welches Hochregallager darf ich in eine Domino-Day-Imitation verwandeln

Erste EDV Kenntnisse? Ich bin IT Kaufmann. Soll ich mich da langweilen oder das leiten?

Ansteckend?

Wir hatten mal eine Nachbarin die sehr viel Pech hatte beim Nachdenken. Die hat mich doch tatsächlich mal gefragt ob meine „Krankheit“ ansteckend wäre und schob gleichzeitig ihre Tochter weiter weg von mir. Das war ein echter Stimmungsheber.

Krankenhaus

2013 kam unser zweites Kind zur Welt. Leider viel zu früh sodass der Kleine insgesamt 10 Wochen auf der Frühchen-Station bleiben musste. Als es Richtung Entlassung ging wurden wir immer öfter gefragt ob wir uns ein Kind zutrauen. Wegen den Augen und so. Wir dachten uns erst einmal nichts dabei und verwiesen immer ein wenig zynisch auf unser erstes Kind welches ja die letzten 6 Jahre auch überlebt hat. Und dann klingelte das Jugendamt irgendwann bei uns. Man wolle doch einfach mal so nachschauen ob alles in Ordnung sei. Das habe keinen speziellen Grund. Ne, is klar! Kurz danach wurde mein Sohn dann entlassen. Zufälle gibt’s.

Nachbarin

Ich habe eine Nachbarin Modell Hexe/ Garennazi. Nichts darf in ihren Garten wachsen oder fliegen. Auch keine Samen. Deshalb sprach sie mich sehr energisch auf eine Pusteblume in meinem Rasen an. „Wann machen Sie das weg?“. „Entschuldigen Sie, ich habe schlechte Augen. Ich sehe nicht jedes Unkraut sofort. Erst recht nicht wenn es noch so klein ist“. „Sie lügen. Alles nur Ausrede! Sie tragen ja gar keine Brille“.

Arroganz

Arroganz wird mir und meiner Frau auch sehr gerne vorgeworfen. Oft kommen Vorwürfe wie:„Die grüßen nie, halten sich wohl für was Besseres“, „Läuft einfach an einem vorbei“. Mein Gott, ich erkenne die Leute schlicht und einfach nicht. Ich bin schon im Supermarkt an meinem eigenen Vater vorbeigerannt. Solange du kein Alleinstellungsmerkmal wie ein Holzbein oder ne Friese wie Olivia Jones wird das weiter passieren. Deal with it unwürdiger Mensch 😉

Bedientheken

Ich habe es mir schon lange abgewöhnt an Bedientheken zu gehen oder bestelle nur wenn ich mir 100% sicher bin das es das Produkt, welches ich haben will, auch gibt. Der Satz „Ich kann das nicht erkennen. Haben Sie XY“, oder „wie teuer ist das und das?“, lösen in den meisten Menschen zwei Reaktionen hervor.

  1. Oh, da steht ein dreijähriger Junge, gefangen im Körper eines 31-jährigen Kerls. Ich muss umgehend anfangen laut, langsam und in ganz einfachen Worten zu reden.
  2. „Warum können Sie nicht lesen. Sind Sie dumm?“

Begleitperson

Ab einem bestimmten Behinderungsgrad darf man im ÖPNV eine Begleitperson mitnehmen bzw. kann auch ganz allgemein nachweisen, dass man auf Begleitung angewiesen ist. Das wird nach Zahlen entschieden und muss nicht der Realität entsprechen. Trotzdem wurde ich schon mal von einem Busfahrer gefragt wo meine Begleitperson sei. Ich dürfte doch nicht alleine rum laufen. Er wüsste jetzt nicht ob er mich mitnehmen darf.

Du bist doch behindert!

Und täglich grüßt das Murmeltier. Mindestens einmal am Tag wird „behindert“ als Schimpfwort benutzt. Es stört mich mittlerweile nicht mehr. Gemessen an dem was sich meine ausländischen Kollegen und Bekannten anhören und aushalten müssen kommen wir Behinderten noch ganz gut weg. Wenigstens bin ich behördlich genehmigt behindert! Over and out! Nur mein Stuss und Frust zu #MeDisabled.

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