
Europa erlebt gerade einen neuen Wettlauf – und diesmal geht es nicht um Politik, sondern um Schienen.
Während die Deutsche Bahn ihr Projekt ICE 5 auf Eis gelegt hat, formiert sich rund um den Eurotunnel ein Wettbewerb, der das Reisen nach Großbritannien revolutionieren könnte.
Was das mit dem Siemens Velaro Novo, der Umwelt, dem Preisniveau auf der Schiene und sogar Uber zu tun hat, erfährst du hier im Detail.
👉 Das dazugehörige Video findest du hier:
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Inhaltsverzeichnis
London – das Traumziel vieler Europäer
London zählt zu den beliebtesten Städtereisezielen der Deutschen.
Die Stadt ist geschichtsträchtig, modern, lebendig – und mit ihren fünf großen Flughäfen (Heathrow, Gatwick, Stansted, Luton und London City) hervorragend an Europa angebunden.
Doch wer schon einmal mit dem Zug nach London fahren wollte, merkt schnell:
Die Auswahl ist überschaubar. Bisher gibt es genau zwei Möglichkeiten, den Ärmelkanal per Schiene zu überqueren:
- Le Shuttle – der Autotransporter zwischen Calais und Dover
- Eurostar – der Hochgeschwindigkeitszug von London St Pancras nach Paris, Brüssel und Amsterdam
Das war’s. Und genau das ist das Problem.

Monopol im Tunnel – und astronomische Preise
Da der Eurostar bisher das einzige Passagierunternehmen ist, das durch den Eurotunnel fährt, kann er die Preise fast nach Belieben gestalten.
Ein Beispiel:
Ein Flug von Deutschland nach London kostet oft zwischen 150 € und 450 € für drei Personen.
Ein vergleichbares Zugticket? Schnell 1.000 bis 1.200 € – one way.
Zwar sind das Extremwerte (etwa an Ferienenden oder Wochenenden), aber der Preisunterschied ist auch an normalen Tagen deutlich spürbar.
Und genau hier setzt die Vision an:
Der Eurotunnel soll für weitere Bahnunternehmen geöffnet werden.
Ziel ist ein echter Wettbewerb, sinkende Preise und eine nachhaltige Verlagerung vom Flugzeug auf die Schiene.
Neue Wettbewerber stehen bereit
Gleich mehrere europäische Bahngesellschaften haben konkrete Pläne, selbst durch den Tunnel zu fahren.
Vier davon sind besonders ernstzunehmende Kandidaten:
1️⃣ Trenitalia – Italiens roter Pfeil will nach London
Die italienische Trenitalia plant ab 2029 eine neue Verbindung zwischen London und Paris.
Dabei will das Unternehmen den stillgelegten Bahnhof Ashford International in Kent wieder aktivieren – ein starkes Signal für den grenzüberschreitenden Verkehr.
Zum Einsatz kommen sollen Züge, die auf dem Frecciarossa ETR 1000 basieren – also Hochgeschwindigkeitszüge von Hitachi, die bis zu 360 km/h erreichen können.
Rund eine Milliarde Pfund sollen in das Projekt fließen.

2️⃣ Virgin – Bransons Comeback auf der Schiene
Der britische Unternehmer Richard Branson kehrt mit seiner Marke Virgin Trains auf die Hochgeschwindigkeitsstrecken zurück.
Rund 700 Millionen Pfund Kapital hat er bereits eingesammelt, um ab 2030 ein Netz mit hoher Frequenz zu betreiben.
Geplant sind:
- 13 Züge pro Tag nach Paris,
- 4 nach Brüssel
- und 3 nach Amsterdam.
Virgin will auf die moderne Avelia Stream-Plattform von Alstom setzen – 200 Meter lange, energieeffiziente Hochgeschwindigkeitszüge, die bereits in Italien und Spanien erprobt werden.
3️⃣ Eurostar – Expansion statt Rückzug
Der bisherige Monopolist Eurostar (Teil der Eurostar Group) will sein Netz massiv ausbauen.
Bis Anfang der 2030er-Jahre sollen bis zu 50 neue Züge angeschafft werden.
Geplant sind neue Direktverbindungen nach:
- Köln
- Frankfurt
- München
- Genf
Auch hier gilt Alstom als Favorit für den Auftrag.
Kurzfristig erweitert Eurostar bereits die Strecke London – Amsterdam auf fünf tägliche Direktverbindungen.

4️⃣ Gemini Trains – der ICE 5 fährt (vielleicht) doch
Und jetzt wird’s richtig spannend:
Das Unternehmen Gemini Trains hat als erstes den neuen Siemens Velaro Novo bestellt – den Zug, der bei uns als ICE 5 bekannt wurde.
Die Deutsche Bahn hatte das Projekt vorerst gestoppt, doch bei Gemini erlebt der Zug nun offenbar seine Wiedergeburt.
Zehn Velaro Novo sollen bestellt sein – für den Verkehr zwischen London, Paris, Brüssel und Köln.
Besonders interessant:
Hauptinvestor ist Uber.
Die Züge sollen künftig direkt über die Uber-App buchbar sein – inklusive Tür-zu-Tür-Verbindung, also vom eigenen Zuhause bis ans Ziel in einer durchgängigen Reiseplanung.
Der Velaro Novo ist dabei mehr als nur ein Zug:
Er gilt als 30 % energieeffizienter als seine Vorgänger, leichter gebaut und mit neuen Aerodynamik-Konzepten ausgestattet.
Und die Deutsche Bahn?
Die DB hatte bereits Anfang der 2010er-Jahre konkrete Pläne für einen ICE London.
Ein ICE 3 fuhr sogar testweise bis London St Pancras – inklusive Zulassungsverfahren.
Doch danach wurde es still.
Heute gibt es keine neuen Bestellungen für Tunnel-taugliche ICEs.
Immerhin sollen künftig Eurostar-Tickets direkt über die Bahn-Plattform buchbar werden – ein kleiner, aber wichtiger Schritt Richtung Integration.
Große Hürden auf dem Weg durch den Tunnel
So faszinierend die Pläne auch klingen – sie stehen vor erheblichen Herausforderungen.
1️⃣ Sicherheitsvorschriften im Eurotunnel
Der Eurotunnel ist rund 50 Kilometer lang und unterliegt extrem strengen Sicherheitsauflagen.
Die wichtigsten Vorgaben:
- Mindestzuglänge: 375 Meter (entspricht dem Abstand zwischen Evakuierungsstellen)
- Bidirektionaler Betrieb: Züge müssen vorwärts und rückwärts fahren können
- Zugang zwischen Führerständen: Lokführer müssen im Notfall den anderen Führerstand erreichen können
- Druckdichte Kabinen und einheitliche Türhöhen für Notausgänge
- Speziell geschultes Personal
Kürzere Züge wie die 200 Meter langen Avelia Stream müssen daher in Doppeltraktion fahren, um die Sicherheitsnormen zu erfüllen.
2️⃣ Das Depot-Problem
Ein noch größerer Engpass ist die Wartung.
Jedes Unternehmen braucht ein eigenes Depot – und in London gibt es im Grunde nur eines:
Temple Mills Depot im Osten der Stadt.
Es wird derzeit ausschließlich von Eurostar genutzt.
Das Gelände steht unter der Aufsicht der britischen Border Force, ist an die Hochgeschwindigkeitsstrecke High Speed 1 (HS1) angeschlossen und erfüllt die speziellen Sicherheitsauflagen.
Ein neues Depot auf französischer Seite wäre kompliziert:
Die Züge müssten für jede Wartung leer durch den Tunnel fahren, was Zeit, Slots und Gebühren kostet.
Außerdem würden britische Sicherheits- und Zollvorschriften dort nicht automatisch gelten.
3️⃣ Grenzkontrollen
Ein weiteres großes Thema sind die Grenzkontrollen.
Großbritannien war nie Teil des Schengen-Raums, und jede Zugfahrt über den Kanal bedeutet:
Ausreise + Einreisekontrolle vor dem Boarding.
In London St Pancras kann es schon heute zu langen Schlangen kommen, wenn zwei Eurostar-Züge gleichzeitig abgefertigt werden.
Kommt nun mehr Verkehr hinzu, braucht es deutlich mehr Platz und Personal.
Gemini Trains plant daher, nicht von St Pancras, sondern von Stratford International zu starten.
Doch auch auf dem europäischen Festland müssten neue Abfertigungsbereiche entstehen – z. B. in Paris, Brüssel oder Amsterdam.
In Deutschland ist das aktuell kaum machbar:
Weder Köln noch Frankfurt verfügen über abgetrennte Bahnsteige mit Ein- und Ausreisekontrolle.
Vielleicht irgendwann in Frankfurt – wenn der neue Fernbahntunnel fertig ist.
Bis dahin könnte es so laufen wie beim Start der Amsterdam-Verbindung:
Zusteigen verboten, Aussteigen erlaubt – und der Zug fährt leer zurück.
Chancen und Risiken
Der Weg zu einem offenen, fairen Wettbewerb durch den Eurotunnel ist lang.
Aber die möglichen Vorteile sind gewaltig:
✅ Günstigere Ticketpreise durch Konkurrenz
✅ Mehr Komfort und umweltfreundlichere Reisen
✅ Integration digitaler Mobilität (z. B. über Uber-Plattform)
✅ Stärkere europäische Vernetzung zwischen Hauptstädten
Herausforderungen bleiben: Bürokratie, Infrastruktur, Sicherheitsvorgaben – und natürlich die Finanzierung.

Fazit – Ein Wettlauf mit Zukunft
Ob wir in naher Zukunft wirklich mit einem ICE 5 / Velaro Novo durch den Eurotunnel fahren werden, bleibt offen.
Aber eines ist sicher: Der Markt kommt in Bewegung.
Nach Jahrzehnten mit nur einem Anbieter formiert sich eine neue Generation von Bahngesellschaften, die den Kanalverkehr revolutionieren könnte – und damit vielleicht auch den europäischen Hochgeschwindigkeitsverkehr insgesamt.
Für Reisende aus Westdeutschland wäre das ein echter Gewinn:
Von Köln nach London wäre man kaum langsamer als mit dem Flugzeug – aber bequemer, klimafreundlicher und stressfreier.
Wie siehst du das?
Würdest du den Zug nehmen, wenn er günstiger und schneller wäre?
Schreib’s gern in die Kommentare unter dem Video!
🎥 Hier geht’s zum Video auf YouTube: „Der Kampf um London“
Quellen & weiterführende Links: